Profil
Die Unteilbarkeit von Architektur macht ihr Wesen und ihre Qualität aus. Um sie aber begreifbar und diskutierbar zu machen, muss sie in Themen eingeteilt werden wie beispielsweise in die Dreiheit «Firmitas», «Utilitas» und «Venustas» bei Vitruv. Mit «Topologie», «Typologie» und «Tektonik» liefert der Architekturtheoretiker Kenneth Frampton eine andere aufschlussreiche Kategorisierung. Ihr Dreiklang deckt sich weitgehend mit unserer Betrachtungsweise und unserem Vorgehen im Entwurfsprozess. Ebenso bildete sie den Hintergrund der erfolgten Lehrtätigkeiten. Da diese Begriffe aber noch sehr universell sind, verweisen sie noch nicht auf spezifische architektonische Interessen. Solche Interessen sind erst über zahlreiche Entwürfe und Bauten in den Vordergrund gerückt. Im Laufe der Zeit wurden sie mit den Begriffen «Mehrdeutige Typologien» und «Starke Räume» festgehalten und weiterverfolgt. Dabei handelt es sich um eine Art Brückenthemen, indem diese jeweils zwischen zwei Kategorien Framptons vermitteln. «Mehrdeutige Typologien» umfasst eine Auseinandersetzung zwischen Topologie und Typologie und «Starke Räume» beschäftigt sich mit Fragen zwischen Typologie und Tektonik. Aus dieser persönlichen Sicht war es überraschend, bekannte und inspirierende Werke der Architekturgeschichte wieder zu entdecken, welche ähnlichen Themen verfolgten und verwandte Merkmale aufweisen.
Mehrdeutige Typologien
Der Begriff «Mehrdeutige Typologien» beinhaltet zumindest zwei Bedeutungen, welche sowohl die Gestalt und äussere Form eines Gebäudes in der Stadt, als auch die Typologie als innere Gebäudeorganisation umfassen. Die Gestalt schafft städtebauliche Bezüge, interpretiert den am Ort vorherrschenden Massstab, stellt ihn in Frage oder bestätigt ihn. Bei zahlreichen heutigen Bauaufgaben in städtischem Umfeld ist eine Mehrdeutigkeit zwischen Einbindung und Absetzung eines Gebäudes von Interesse und stellt einen Vorteil dar, um eine angemessene Haltung zwischen Solitär oder regelhafter Bebauung zu finden. Um an spezifischen Orten die Stadt weiterzuentwickeln und auf heterogene Bebauungen angemessen einzugehen, sind demgegenüber einfache und reine Typologien als Lösungsansatz manchmal ungenügend. Aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen können reine Gebäudetypen auch bezüglich innerer Organisation den neuen und vielfältigen Bedürfnissen einer heutigen Bauaufgabe nur noch selten genügen. Hingegen sind einfache Räume wie Hof, Arkade oder Halle nach wie vor anwendbar, sind aber immer wieder neu zu interpretieren. Auch braucht es immer mehr Gebäudetypen, welche neben einer stabilen Primärstruktur auch eine langfristig veränderbare Sekundärstruktur aufweisen.
Starke Räume
Mit dem Begriff «Starke Räume» sind Räume und Raumfiguren mit Gestaltqualität gemeint, welche Identitäten schaffen. Dabei beinhaltet die Wortschöpfung Raum-Figur ein Paradoxon, indem Raum eine Leere und Figur ein Objekt bezeichnet, was zunächst nicht vereinbar erscheint. Konkret interessieren uns öffentliche Raumfolgen, Erschliessungsräume oder grössere Nutzräume, welche über mehrere Geschosse greifen und die Innenwelt eines Gebäudes charakterisieren. Im Gegensatz zum Raumfluss der Moderne, wo der Raum sich unbegrenzt ausdehnt, meint die Raumfigur eher eine begrenzte innere Leere. Damit die eingeschlossene Leere zur Wirkung kommt und in ihrer Wertigkeit erhöht wird, muss sie weitgehend mit Masse im Sinne des klassischen «poché» ummantelt sein. Das Tragwerk kann dabei wesentlicher Bestandteil des Raums sein, welcher mit dem Ingenieur interdisziplinär entwickelt und direkt oder indirekt Teil der Raumgestaltung wird. «Starke Räume» schaffen innere Identität, reichhaltige Beziehungen und eine informelle Kommunikation unter Benutzern und können sich langfristig ins Gedächtnis einprägen.
Leitmotiv
Diese architektonischen Themen wurden laufend untersucht. Die ersten Bauten wurden anlässlich eines Vortrages im Architekturforum Zürich in der NZZ vom Februar 1997 durch den Architekturkritiker Christoph Bürkle als «Verfremdete Typologien» bezeichnet. An der ersten Ausstellung der Projekte an der ETH Zürich 2006 und in der zugehörigen Publikation «Giuliani Hönger dreidimensional» sprach der Architekturtheoretiker Jacques Lucan über die Raumkonzeption der Fachhochschule Sihlhof von «textured spatiality». Im Rahmen der Ausstellung in der Galerie Aedes Berlin 2010 und der Publikation «Schnittwerk» wurde anhand von vier Projekten die drei Themen «Mehrdeutigkeit», «Raumfiguren» und «Körperhaftigkeit» erörtert. Deren Publikationstitel drückt zudem das Entwerfen im Schnitt anhand von Schnittmodellen und -plänen aus. Nicht zuletzt wurden unter dem Begriff «Powerful Spaces» anlässlich der Gastprofessur an der EPFL in Lausanne von 2013–2015 die Themen in die Lehre eingeführt und in der Publikation «Powerful Spaces/ Starke Räume» im Quart Verlag 2016 publiziert. Schliesslich wurden die Themen anlässlich der Konferenz «MATTER. The white conferences» vom Oktober 2018 an der Architekturschule in Porto FAUP anhand historischer und eigener Bauten nochmals vergleichend diskutiert.
Diese Hauptthemen verbinden zahlreiche Arbeiten. Sie wurden aber im einzelnen Projekt mit weiteren Interessen ergänzt, welche als zusätzliche, sogenannte «Leitmotive» dazu dienen, die Entwurfsentscheide auf allen Ebenen zu fällen. Diese spezifischen Leitmotive entstehen im disziplinären Dialog mit allen Partnern und oft auch interdisziplinär mit anderen inspirierenden Planungspartnern.
Entwurfsinstrument Schnitt
Auf allen Massstabsebenen, und somit in allen drei von Frampton bezeichneten Kategorien, ist für uns der Schnitt ein entscheidendes Darstellungs- und Entwurfsmittel (siehe Text in archi «La sezione come strumento di progettazione»). Auf Ebene «Topologie» werden anhand von Schnitten die Beziehungen von Projekt zu Stadtkörper, Freiräumen oder Landschaft überprüft. Auf Ebene «Typologie» dienen Schnittzeichnungen und Schnittmodelle dazu, Schnittfiguren, Raumfolgen und innere Raumbeziehungen zu schaffen (siehe Schnittmodell Sihlhof). Auf Ebene «Tektonik» haben wir für die Ausstellung Schnittwerk in der Galerie Aedes in Berlin 2010 eine neue, eigene Darstellungsart von Konstruktion erarbeitet, welche hier anhand des Fachhochschulzentrums St.Gallen beispielhaft aufgezeigt ist. Die Darstellung stellt den für das Projekt aussagekräftigsten Schnitt im Detaillierungsgrad 1:10 dar, welchem sozusagen die Luft oder der Rauminhalt entzogen wird. Damit wird ein spannendes Paradox geschaffen: Die individuelle Physiognomie des Projektes ist anhand des Gesamtschnittes aus der Distanz lesbar, die einzelnen Details des Projektes bleiben aber im Nahbereich erkennbar und genau verortet, ohne den Gesamtzusammenhang aufzugeben. Die Details sind mit üblichen Schraffuren (SIA 400, Planbearbeitung im Hochbau, Ausgabe 2000) dargestellt, aber weder vermasst noch beschriftet. Mit dieser Schnittdarstellung entsteht trotz technisch-konstruktiven Aussagen zugleich ein ästhetisches und ungewohnt charaktervolles Porträt des Gebäudes.